Curacao

Wer in diesen Zeiten mit offenen Augen durch Curacao reist, begegnet einer Welt mit vielen Realitäten.

Eine erste Realität existiert scheinbar fernab jeglicher menschlicher Einflüsse. Die Gezeiten, der ständig präsente Wind und die Wellen formen an der Ostseite seit jeher eine unwirtliche, schroffe Küstenlandschaft aus Sand und Lavagestein. Auf ihre eigene Weise voller Schönheit und Lebendigkeit. Zur Mitte der Insel hin vollzieht sich der Wechsel zu einer von dichten Büschen und Kakteen geprägten Landschaft. Erst auf der windabgewandten Seite zeigt die Natur zu welchem Kunststück sie fähig ist. Denn dort verwandelt die Sonne das Wasser zu dem türkisen Blau, welches unsere Augen in dieser Intensität nur selten zu sehen bekommen. Fein zermahlene Korallen werden zu Puderzuckerstränden.

Die zweite Realität ist die der Geschöpfe. Sie umfasst die kleinen Wunder der Insel. Denn das karibische Meer ist ein Zauberspiegel. Einmal durchschritten entführt er uns in seine bunte Welt. Die der Flöten-, Koffer- und Papageienfische. Die der Rochen und Moränen. Und wenn eine der vielen Schildkröten ihre Bahnen durch das Riff zieht, ist die Magie vollendet. All diese Tiere leben in ihrer eigenen beschränkten Realität, ihrer kleinen vollkommenen Welt. Sie wirken fröhlich und unbeschwert. Manche schwimmen ihr Leben lang nur um eine kleine Koralle herum. Dies ist wo sich für sie alles abspielt. Etwas anderes existiert nicht.

Die dritte bezeichnet das Spiel mit der Ignoranz. Curacao ist als Insel nicht nur von der Verschmutzung der Meere, sondern auch von der eigenen Nachhaltigkeit abhängig, um langfristig Touristen anlocken zu können. Manche Einwohner sorgen sich und so gibt es einige, die ihre Verantwortung ernst nehmen und beispielsweise mehrmals wöchentlich aufbrechen um Strände zu reinigen. Inzwischen spült der Atlantik so viel Müll an, dass sie dies regelmäßig tun müssen…

Dass andere des Geldes wegen Umweltbelange eher ignorieren zeigt sich an In-Lokalen, die vom Aussterben bedrohten Thunfisch zu Ramschschpreisen als Fastfood verkaufen. Der Fisch hat top Qualität, der Rest ist Ramsch. Frittierte Beilagen, billiger Wein und Fertigsaucen. Die vorwiegend junge Generation steht Schlange, um dann auf Plastikstühlen sitzend und aus Einweg Plastikbechern trinkend noch schnell etwas vom Filetstück im Plastikkörbchen abzubekommen, bevor es für immer aus dieser Welt scheidet. Übrig bleibt ein Berg voller Müll und ein doch sehr kurzes Geschmackserleben. Die Menschen ignorieren, dass es so nicht weitergehen kann und zeitgleich hoffen sie, dass es noch lange so weiter geht.

Doch eine Realität, welche fehlt ist die der bewussten Wahrnehmung unseres Einflusses. Nur derjenige der reist und es wagt seine Gedankenwelt zu verlassen, nur der kann Zusammenhänge verstehen und nur derjenige kann sich Dinge bewusst machen und sie verändern. Indem die Gleichgültigkeit durch Verantwortung ersetzt wird. Indem wir uns der Realitäten annehmen, die auch außerhalb unseres eigenen kleinen Mikrokosmos entstehen. Die Menschen werden auch nach der Pandemie weiterhin ihren Luxus anstreben und ihr Leben frei und unbeschwert führen wollen. Doch die starre Fokussierung auf unsere eigene Realität können wir uns nicht weiter erlauben. Wir sind die einzigen, die klug genug sind, das Zusammenspiel zu verstehen und Dinge zum Guten zu ändern. Wir können dennoch genießen. Bewusst und verantwortlich weniger mehr sein lassen, um noch lange erhobenen Hauptes in den Zauberspiegel des Meeres blicken zu können.

Dabei werden wir damit leben müssen, dass unsere Gewohnheiten der Veränderung bedürfen. Um gut zu werden muss es anders sein, doch niemand behauptet, dass es dann schlecht ist.

Vielleicht nur noch zertifiziert klimaneutral fliegen, vielleicht eine noch höhere Umweltabgabe für Luxusgewohnheiten. Vielleicht wieder mehr reparieren als wegwerfen. Wie sich unser Leben verändern wird ist unklar aber es wird sich verändern. Diese Realität steht uns noch bevor. Die Gesundheitskrise hat gezeigt, dass Veränderungen möglich sind, die ursprünglich gar nicht denkbar waren. Es ist auch nicht denkbar, dass Curacao Urlauber zukünftig pro Woche Anwesenheit auf Curacao eine Stunde zur Reinigung der Küste gebeten werden. Auch nicht, dass Getränke zukünftig aus Kokosnüssen, statt aus Plastikbechern ausgeschenkt oder statt Styroporteller wieder Bananenblätter verwendet werden. Dass keine neuen Gebäude gebaut werden dürfen. Keine Plastikliegen am Strand mehr erlaubt sind. Und wenn es doch so kommt?

Im Endeffekt ist es nur eine Frage der Zeit. In einhundert Jahren wird die Welt eine ganz andere sein und es werden sich Dinge realisiert haben, die wir nie für möglich gehalten hätten. Der Prozess dahin kann durch den guten Willen und unser Engagement geprägt sein oder durch Zwang. Denn die Natur wird uns in den nächsten Jahren freundlich auf die Frage hinweisen, ob die Realität der Menschen umfassend ist, oder wir nicht doch auch ein wenig ihre Realität als Entscheidungsgrundlage heranziehen sollten.